Mein Vorbild: Pippi Langstrumpf
Erinnert ihr euch noch an sie, an Pippi Langstrumpf?
Für mich war sie die Heldin meiner Kindheit. Auch heute lese ich die Pippi Langstrumpf Bücher noch gerne (mach ich tatsächlich, wenn ich dringend was zur Aufheiterung brauche). Und mindestens einmal im Jahr muss ich die Filme sehen. Früher mit allen meinen Kindern, letztes Jahr nur noch mit meiner Tochter, die das genauso toll fand wie ich (sie studiert übrigens im 4. Semester!).
Dieses Jahr muss ich es unbedingt mit meinen noch kleinen Nichten und Neffen ansehen!
Was macht meine Faszination von Pippi Langstrumpf aus?
Ich liebe ihre anarchistische Art. Sie lässt sich von NIEMANDEM etwas vorschreiben. Sei es von der ollen Tante Prusseliese oder von den etwas dümmlichen Polizisten. Sie lässt sich auch von niemandem die Butter vom Brot nehmen. Die beiden Diebe (einer davon im Film vom unvergessenen Hans Clarin gespielt) haben nichts zu lachen. Den Goldkoffer bekommen sie nie.
Auf der anderen Seite endet ihr Anarchismus immer da, wo das Wohl anderer dadurch gefährdet wäre. Sie kümmert sich rührend um Thomas und Annika und passt gut auf sie auf, als die Eltern mal für ein paar Tage nicht da sind. Vielleicht nicht gerade so, wie die Eltern sich das vorstellen, und vor allem Thomas hat großen Spaß. Tief ins Gedächtnis hat sich mir auch die Szene gegraben, in der sie einen gestorbenen kleinen Vogel findet und bittere Tränen um ihn weint. Nicht zu vergessen, dass sie alle ihre Tiere vorbildlich versorgt, einschließlich der kleinen Maus. Die bekommt sogar einen eigenen kleinen Weihnachtsbaum.
Pippi ist ein absolut herzensguter Mensch, sie lässt NIEMANDEN alleine, nicht einmal die Diebe, die dauernd auf ihr Gold aus sind.
Was hat mich Pippi gelehrt?
Diese Mischung aus anarchistischem Selbstbewusstsein und diesem absoluten Mitgefühl für ALLE Lebewesen machen für mich den Charm aus. Als Kind war sie mein Vorbild. Ich habe schwierige Situationen nicht ganz so elegant gelöst wie sie, und doch hat sie mir das Selbstbewusstsein gezeigt, das in den 70er Jahren (ich bin Jahrgang 1971) noch nicht selbstverständlich für Mädchen war.
Zum Glück hatte ich auch Eltern, die das unterstützt haben. Sätze wie: „Das macht ein Mädchen nicht.“, „Benimm dich mal wie ein Mädchen.“, oder auch: „Mathematik musst du nicht können, du bist ja ein Mädchen.“ gab es bei mir zuhause nicht.
Insbesondere mein Vater hat mich so unterstützt, wie es damals oft nur bei Jungen gemacht wurde. Er hat mich mit zur Jagd genommen (darüber kann man denken, was man will, mir zeigt es, dass er mich nicht in Watte gepackt hat), zum Angeln und was er sonst noch gerne gemacht hat. Er hat mir seine „Männerwelt“ gezeigt ohne jemals anzudeuten, dass das nichts für Mädchen sei.
Eine Szene ist mir besonders im Gedächtnis geblieben: schon in der ersten Klasse bekam ich einen „blauen Brief“. Warum? Weil ich einen Viertklässler verprügelt hatte. Wie gesagt, so elegant wie Pippi mit den Dieben habe ich das mit dem Bestrafen nicht hinbekommen.
Mein Vater las den Brief und fragte erstmal: „Warum hast du das gemacht?“ Kein Schimpfen, kein „Wie kannst du nur?“, eine sachliche, neutrale Frage nach dem Warum.
Ich erklärte ihm, dass dieser Viertklässler uns Kleine permanent geärgert hat. Er nahm uns den Ball weg, zerrte an unserem Gummi, wenn wir Gummitwist spielten usw. Irgendwann ist mir der Kragen geplatzt. (Ich bin übrigens bis heute nur 1,58m groß und war immer die Kleinste in der Klasse und somit damals die Kleinste in der Schule!)
Da sagte mein Vater: „Gut gemacht.“, schmiss den Brief demonstrativ in den Müll und damit war die Sache für ihn erledigt.
Ich im Alter von ca. 4 Jahren
Was hat dieses Vorbild bewirkt?
Pippis Vorbild in Kombination mit der Erziehung meiner Eltern hat dafür gesorgt, dass ich mir, trotz meiner Körpergröße, nie klein und minderwertig vorkam.
Ich wusste: ich kann alles erreichen, wenn ich vielleicht auch manchmal dafür kämpfen muss wie mit dem Viertklässler. Als Kind kam bei mir nie auch nur der geringste Gedanke daran auf, dass irgendetwas für mich nicht erreichbar wäre. Das hat erst mit etwa 13 Jahren mein Lateinlehrer geschafft, der mich vor der ganzen Klasse zur Schnecke gemacht hat, weil ich eine 3- (!) geschrieben hatte. Sein bissiger Kommentar endete mit den Worten: „Fürs Gymnasium bist du ja wohl nicht geeignet.“ Wegen einer 3-!
Heute ist mir klar, wie vernichtend nur wenige Worte sein können. Und tatsächlich bin ich ein Jahr später sitzen geblieben. Heute denke ich, weil ich durch die permanenten Sticheleien, die auf diesen ersten Kommentar meines Lateinlehrers folgten, mein schulisches Selbstbewusstsein verloren habe.
Zum Glück gab es auch andere Lehrer. Vor allem die Lateinlehrerin, die auf diesen ersten Lateinlehrer folgte, hat einen großen Beitrag dazu geleistet, dass ich dann doch noch bis zum Abi gekommen bin.
Meinem ersten Lateinlehrer fehlte jedes menschliche und pädagogische Gefühl dafür, was er da eigentlich anstellt. Im O.C.E.A.N.©-Modell hätte er wahrscheinlich bei Empathie den Wert -100 und bei Dominanz +100. (Wenn du noch nichts über das O.C.E.A.N.©-Modell gelesen hast, dann findest du das hier: https://holz-lerncoach.de/endlich-deep-o-c-e-a-n-coach/.)
Pippi und ihr Verhältnis zur Schule
Und damit wären wir beim Thema Schule. Auch hier hat sich Pippi nicht reinreden lassen.
Zur Erinnerung könnt ihr euch diesen Filmausschnitt mal ansehen: https://www.dailymotion.com/video/x4sp28e.
Ich finde diesen Schultag großartig. Schon allein beim Zeichnen hat Pippi sich nicht einengen lassen, sondern einfach das Pferd – ihr Pferd – lebensgroß an die Wand gezeichnet.
Doch auch ohne Schule ist sie sehr gebildet, durch die Bildung, die ihr im Leben zuteil geworden ist. In einer anderen Szene kann sie die Hauptstädte der exotischsten Länder aufsagen, weil sie in all diesen Ländern schon war!
Das geht natürlich im wirklichen Leben nicht ganz so leicht, und doch sollte jeder Lehrer den Erfahrungshorizont seiner Schüler mit in den Unterricht einbeziehen. Nur so entsteht WIRKLICHE Bildung, weil es die Schüler INTERESSIERT.
Pippi kommt zu dem Schluss: „Die Leute sind auch wirklich dumm. In der Schule lernen sie Plutimikation, aber sich was Lustiges ausdenken, das können sie nicht.“
In unserer modernen Schulwelt wäre Pippi vielleicht als ADHS-Kind abgestempelt worden. Dabei ist sie sooooo neugierig und wissbegierig. Nur die Schule, die ist anstrengend, deswegen muss sie nach einem Tag auch schon wieder in die Ferien gehen.
Sind die Zeugnisse wirklich so wichtig?
Und das lässt mich auf ein anderes Thema kommen. Gerade gibt es die Halbjahreszeugnisse.
Ich finde es unglaublich, was gerade auf Facebook zu diesem Thema los ist. Von: „Wie verhalte ich mich, wenn mein Kind ein schlechtes Zeugnis nach Hause bringt?“ bis hin zu: „Wer faul ist, verdient auch ein schlechtes Zeugnis.“
Zeugnisnoten haben übrigens recht wenig mit den WIRKLICHEN Leistungen in der Schule zu tun. Eine Anna bekommt im Schnitt bessere Noten als eine Chantal, ein dünnes Kind bessere als ein dickes. Dazu könnt ihr euch mal diese Quarks-Folge ansehen, die erklärt diese und noch andere Einflüsse auf die Notengebung wirklich gut: https://www.youtube.com/watch?v=Aa1O6byq7zQ&t=158s&ab_channel=Quarks.
Ich finde übrigens sogenannte Verbalbeurteilungen auch nicht viel besser. Wie später bei einem Arbeitszeugnis setzt man da Textbausteine zusammen und jemand, der Ahnung davon hat, liest dann genau wie bei Noten heraus, was Sache ist.
Wie sehr diese Noten am Selbstbewusstsein kratzen können, das habe ich am eigenen Leib erfahren. Jahrelang hat mich das verfolgt. Zum Glück hatte ich eine Kindheit, in der ich ein gesundes Selbstbewusstsein aufbauen konnte, so dass ich mich, mit Hilfe einiger vernünftiger Lehrer, aus diesem Loch wieder befreien konnte. Sonst hätte es ganz düster ausgesehen.
Die Aufgabe der Erwachsenen
Doch was ist mit Kindern und Jugendlichen, denen meine Vorerfahrung fehlt?
Pippi und ich hatten das Glück, dass wir Väter hatten, die uns in dem, was wir taten, bestärkt haben. Bedingungslos und ohne auf irgendwelche Normen zu achten. (Wahrscheinlich hat sich bei mir deswegen in der Kategorie „Regelkonformität“ meines O.C.E.A.N.©-Modells auch ein sehr geringer Wert durchgesetzt!).
Wir waren für unsere Väter einfach gut so, wie wir sind. Ohne Wenn und Aber.
Trotzdem, oder gerade deswegen, verfügen wir über eine hohe Empathie, die uns daran hindert, völlig grenzenlos auf den Gefühlen anderer herumzutreten, trotz auch hoch ausgeprägter Dominanz.
Ich bin der Meinung, dass jedes Kind das Recht hat, so bedingungslos geliebt zu werden. Das Gefühl vermittelt zu bekommen: Du bist gut so, wie du bist.
Das heißt nicht, dass keine Grenzen gesetzt werden, eher im Gegenteil, Grenzen sind wichtig für Kinder, weil sie Sicherheit vermitteln. Es müssen auf jeden Fall SINNVOLLE Grenzen sein, nachvollziehbar für das Kind und nicht willkürlich.
DANN entstehen glückliche Erwachsene, die sich etwas zutrauen und offen für neue Erfahrungen durch das Leben gehen.
Warum ist mir das so ungemein wichtig?
Ich coache erwachsene Lerner.
Meistens wäre diese Arbeit unnötig, wenn diese Erwachsenen nicht so viele negative Glaubenssätze das Lernen betreffend mit sich herumschleppen würden.
Lerntyp feststellen und entsprechende Lernmethoden lernen, das hilft natürlich beim schnelleren Lernen und macht es effektiver.
Und doch ist es nur der allergeringste Teil des erfolgreichen Lernprozesses.
Nach einer 3- hat mein Lateinlehrer mich für völlig unfähig erklärt, praktisch zum Idioten, vor versammelter Klasse. Was passierte? Fortan schrieb ich 5er in Latein. Was wäre passiert, wenn er gesagt hätte: „Du hast schon ziemlich gute Ansätze, das kriegen wir gemeinsam hin?“
So habe ich mich jahrelang durch dieses Fach durchgequält, bin schlussendlich in der Schule sogar durch das Latinum gefallen – mit einer 6! Zum Glück war das nicht mehr versetzungsrelevant und auch nicht für die Abinote wichtig.
Im Studium musste ich das Latinum für das Englischstudium nachholen. Neue Lehrerin, andere Ansprache: „Ich bin dazu da euch zu zeigen, dass das eine tolle Sprache ist. Logisch und leicht zu verstehen, für JEDEN erlernbar.“ Ergebnis: Latinum mit einer 2+, nach 5 Wochen Lateinkurs! Und die Prüfung an der Uni war VIEL schwerer als die in der Schule!
Das Mindset ist der wichtigste Teil beim Lernen!
Die Aufgaben der Erwachsenen ist es, dass das Mindset der Kinder richtig aufgebaut und dann erhalten bleibt.
Ist es einmal richtig da, dann verträgt es auch eine Erschütterung, wie man an meinem Beispiel sehen kann.
Doch was ist, wenn das richtige, positive Mindset von Anfang an nicht da ist, weil zu früh zu sehr auf Leistung und zu wenig auf das Wohlbefinden des Menschen geachtet wird?
Oder wenn einem Kind alles abgenommen wird, aus Angst, es könnte „zu viel“ sein, und das Kind könnte daran zerbrechen.
Kinder sind nicht so zerbrechlich, wie viele Eltern denken. Sie werden es, wenn die Eltern und anderen umgebenden Erwachsenen ihnen nie etwas zutrauen, weil sie dann automatisch denken: „Das kann ich ja sowieso nicht.“ Und damit sind nicht die kognitiven Leistungen gemeint, sondern ganz banale Dinge, wie z.B. Schuhe zubinden.
Ich bin meinem Vater unendlich dankbar, dass er mich mit solchen Anforderungen nie geschont hat. Und wenn dann etwas nicht geklappt hat, dann war das einfach so und völlig in Ordnung. „Heute hat es noch nicht geklappt, das nächste Mal hast du schon mehr Übung, da klappt es dann!“
Weg in die Zukunft
Ich wünsche ALLEN, kleinen wie großen Menschen, dass sie Pippi Langstrumpfs Selbstbewusstsein haben. Dass sie an alle neuen Dinge mit diesem Satz von ihr herangehen: „Das habe ich noch nie gemacht, deswegen bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe.“
Mit diesem (Selbst-)Bewusstsein schafft ein Mensch tatsächlich alles. Vielleicht nicht sofort, und doch sicher.
In der Schule hält das Fach „Glück“ allmählich Einzug. Hier wird Schülern vermittelt, was sie selbst dazu beitragen können, um glücklich zu sein. Dazu gehört auch das Etablieren positiver Glaubenssätze im Kopf. Und die sind so wichtig, nicht nur für das persönliche Glück, sondern auch für den eigenen Lernprozess.
Ich finde es mega, dass das jetzt nicht nur bei uns Lehrern ankommt, dass das absolut wichtig und essentiell für einen guten Lernprozess ist, sondern auch an höheren Stellen. Es wird noch ein paar Jahre dauern – Beamtenmühlen mahlen langsam – und dann hoffe ich, dass dieses Fach an allen Schulen angekommen ist und von engagierten Lehrern unterrichtet wird.
Für erwachsene Lerner kommt diese Entwicklung zu spät. Deswegen bin ich froh, wenn ich Menschen, die das nicht auf natürliche Art und Weise gelernt haben, zeigen kann, dass diese Veränderung hin zu positiven Glaubenssätzen wirklich geht. Es braucht gar nicht viel dazu, einfachste Techniken führen hier schon zu unglaublichen Erfolgen und zu einer unerwarteten Veränderung – hin zum guten Lernen!
Ich wünsche euch eine schöne Woche, habt den Mut, Neues anzufangen: ich bin völlig sicher, dass ihr das schafft.
Liebe Grüße
Eure Daniela